Crailsheim - Schwäbisch Hall - Hessental
Öhringen Hbf - Heilbronn Hbf (- Eppingen)
1862 - 2021 (Eröffnung 02. August 1862)
Vor die Tore der Stadt baute die
Eisenbahn den Oehringer Bahnhof
Zweihundert Gulden für einfache und geschmackvolle Dekoration / Regina die
Nachtschwärmerin / Das Bedürfnis nach Speise und Trank bejaht
Oehringen (wb). Schon die Amtsvorfahren der Oehringer Stadträte waren Leute die
dem Einfachen und Geschmackvollen anhingen. Der Beweis dafür ist hundert Jahre
alt. Geliefert wurde er bei der Debatte im bürgerlichen Kollegium ob und in welcher
Weise sich die Stadt bei den Eröffnungsfeierlichkeiten der Eisenbahn beteiligen
solle. Alle scheinen nicht dafür gewesen zu sein. Denn es wird nur von einer
Mehrheit berichtet, die eine einfache und geschmackvolle Dekoration des Bahnhofs
und seiner Umgebung für genügend hielt Trotzdem waren dafür 200 Gulden nötig.
Da sich Oehringen auch damals vom Kreis gern etwas schenken ließ bekam es
hundert Gulden von der Amtsversammlung “verwilligt”, wenn die Stadt Oehringen
den gleichen Betrag auswerfe.
Der Bau der Eisenbahnlinie brachte seinerzeit mehr Unruhe in das stille Oehringen
als es der Bau einer Autobahn samt Umgehungsstraße je wird bringen können. Es
fing schon 1860 an: “Aus Anlaß des Beginns der Eisenbahnbauten wird ein starkes
Zusammenströmen von Arbeitern herbeigeführt und soll daher die Frage der
Notwendigkeit entsprechenden Verstärkung des Polizeipersonals in reifliche
Erwägung genommen werden.” Es ist durchaus möglich, daß die schöne Regina
Nebhut vor hundert Jahren nur deswegen als Nachtschwärmerin verurteilt wurde,
weil sie den Eisenbahnarbeitern die nächtliche Langeweile zu verkürzen gedachte.
Die Eisenbahn brachte viel Segen ins Land. Nicht nur dem Oehringer
Kleiderreiniger, der sein vorzügliches Fleckenwasser zu den
Einweihungsfeierlichkeiten anpries. Die ganze Bürgerschaft hatte ihren Nutzen.
Denn mit der Eisenbahn kamen die ersten Oehringer Straßenlampen, Der
Gemeinderat von damals scheint bei allen sonstigen guten Eigenschaften etwas
lichtscheu gewesen zu sein, denn er mußte sich vom Königlichen Oberamt darauf
aufmerksam machen Iassen, daß sich die “Notwendigkeit der Straßenbeleuchtung
im Interesse des Verkehrs als auch der Sicherheit mehr und mehr dem Publikum
aufdränge”. Der Gemeinderat beeilte sich, dem Königlichen Oberamt zu willfahren
und faßte nach langer Beratung den Beschluß, zwölf Laternen aufzustellen und als
Brennstoff Schieferöl zu verwenden. Bei den lichtvollen Ausführungen im Kollegium
ist aber düster vermerkt worden, daß wohl der Bitte nicht entsprochen werde, den
Bahnhof mehr in die Nähe der Stadt zu verlegen.
Wäre es nach dem Willen des Gemeinderats gegangen, stünde der Bahnhof heute
wohl am Hafenmarkt. So dumm waren die Stadtväter von anno dazumal aber auch
nicht. Denn wäre der Bahnhof an den Hafenmarkt gekommen, hätte die Stadt nicht
die Straße zum Bahnhof zu bauen brauchen. So mußte sie für dieses Projekt etwa
4000 Gulden aufwenden und davon noch 3400 Gulden als Darlehen aufnehmen.
Wer weiß, wie sparsam die alten Oehringer waren, kann auch ermessen, wie
schmerzlich es für den Gemeinderat war, daß die Eisenbahn so weit draußen vor
den Toren der Stadt ihren Bahnhof hinstellte.
Die Oehringer Sparsamkeit spricht auch aus der Abneigung gegen städtische
Latrinen. Da man zu jener Zeit noch keine Münzautomaten kannte und folglich auch
mit Einnahmen nicht rechnen konnte, vertrat das StadtschuItheißenamt die
Auflassung, daß für eine städtische Latrine in der Nähe des Bahnhofs kein Bedürfnis
bestehe, zumal die Königliche Eisenbahnverwaltung um Herstellung einer Latrine
angegangen wurde. Ganz anders urteilte der ehemalige Gemeinderat über die
Bedürfnisse nach Speise und Trank. Wohl ausgehend von den eigenen
Empfindungen debattierte er sehr lange über die “erhebliche Frage zur Errichtung
einer Wirtschaft in den Gartenparzellen beim Bahnhof”. Diese Frage wurde
einstimmig bejaht. Es ist schon für das bloß per Eisenbahn durchreisende Publikum
öfters Bedürfnis auf der Station Oehringen Gelegenheit zu einer in gutem Getränke
bestehenden Erfrischung zu erhalten, wozu die Zeit des Verweilens der einzelnen
Züge, wenn der Gastwirt oder sein Gehilfe parat sind, ganz bequem ausreicht”.
So eilig hatte man es damals nicht. Der Zug hielt so lange, bis ein Viertele geleppert
war. Die Züge drängten sich aber auch auf der Strecke nicht. In den ersten Jahren
waren es nur sechs Züge am Tage. Und groß scheinen sie auch nicht gewesen zu
sein. Daß aber Oehringen ein bedeutender Bahnhof war geht aus alten Zeugnissen
hervor. Etwas später, vor der Jahrhundertwende wurden in einem Jahr im Oehringer
Bahnhof 183.000 Mark eingenommen und nur 14.679 Mark ausgegeben.
Beschäftigt waren im Oehringer Bahnhof fünf Beamte vier Unterbeamte und fünf
Arbeiter. Die Personenfrequenz war häufig so stark, daß der kleine Wartesaal das
reisende Publikum nicht fassen konnte, so daß “dasselbe gezwungen war, sich auf
der Collonade oder ganz im Freien aller Witterung preiszugeben”. Damit die vom
Bahnhof kommenden oder zum Bahnhof gehenden Reiseden nicht behindert
wurden, wurde es auch verboten. auf dem Trottoir der Zufahrtsstraße zum Bahnhof
zu fahren, zu reiten oder den Schubkarren zu schieben.
Hohenloher Zeitung, Samstag, 04. August 1962, Nr. 178, Seite 3